The Thing Called Love

Was wurde eigentlich aus den Helden des Makronen Kriegs?
Über Concords liebreizende Bäckermeisterin Fan Ting Huang – ihres Zeichens geteilte Siegerin der legendären Schlacht – gibt es mehr zu erzählen, als man denkt. Eine ehemalige Mitschülerin (deren Namen wir selbstverständlich nicht preisgeben, wir sind ja nicht ganz gewissenlos) behauptet, Fan Ting habe während ihrer Konditorausbildung einen Vermisstenfall gelöst. Nach den Schilderungen hat sich in etwas folgendes zugetragen:

„Fan Ting saß im Schneidersitz auf ihrem Bett in der kleinen Kammer, die sie sich mit einer anderen Schülerin während der Meisterkursvorbereitung teilte, und starrte auf ihr Notizbuch. Die Seiten waren vollgekritzelt mit Namen, Zeiten, Orten und ihren eigenen wilden Theorien. Sie hatte die letzten Tage alles versucht, um herauszufinden, warum Dora verschwunden war. Die offizielle Erklärung – eine plötzliche Erkrankung – glaubte sie keine Sekunde.

Drei Tage war Dora nun verschwunden, und Fan Ting konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken. Offiziell hieß es, Dora sei krank geworden und nach Hause gefahren. Aber etwas daran stimmte nicht. Warum hatte sie dann nichts gesagt? Warum hatte niemand ihre Eltern am Abend ihres Verschwindens gesehen? Und warum wirkte ihre Mitbewohnerin so nervös, wenn man sie auf Dora ansprach?

Doch ihre Nachforschungen waren in einer Sackgasse gelandet. Niemand hatte gesehen, dass Dora ihre Sachen gepackt hatte. Niemand hatte ihr etwas anvertraut. Und ihre Familie schwieg. Sie hatte alles versucht: mit Mitschülern gesprochen, die Lehrer beobachtet, sogar einmal nach dem Unterricht in den Sekretariatsakten geschnüffelt – aber nichts ergab ein klares Bild. Sie starrte auf ihre Notizen. Irgendwo hier musste eine Spur sein. Also gut, sie würde noch einmal ganz von vorne anfangen. Sie blätterte zurück.

Der letzte Tag, an dem Dora gesehen wurde: vormittags Unterricht. Mittags gemeinsam gegessen. Nachmittags Theorieunterricht und Übungsstunden in der Backstube. Nichts Auffälliges. Und dann kam der Abend: Sie und zwei andere Mädchen hatten sich in Doras Zimmer getroffen, um einen Film zu schauen. Fan Ting überflog den Titel und hielt plötzlich inne.

The Thing Called Love.

Es traf sie wie ein Blitz. Der Film handelte von jungen Leuten, die nach Nashville zogen, um ihren Traum als Countrysänger zu verwirklichen. Besonders eine Szene kam ihr jetzt in den Sinn: Die Figur von Sandra Bullock, die in einem Schönheitswettbewerb antritt, obwohl niemand sie ernst nimmt – und die dann entscheidet, dass sie ihr eigenes Leben bestimmen will.

Fan Ting erinnerte sich daran, dass Dora an einer Stelle gesagt hatte: „Oh, das kann ich so gut verstehen.“ Damals hatte sie dem keine Beachtung geschenkt, aber jetzt … Was, wenn Dora sich mit jemandem aus dem Film identifiziert hatte? Was, wenn sie schon lange etwas im Geheimen geplant oder zumindest erträumt hatte?

Dora war immer die Vernünftige gewesen, die Pflichtbewusste. Aber was, wenn das nur die halbe Wahrheit war? Mit einem neuen Verdacht sprang Fan Ting auf und rannte zu Doras Mitbewohnerin Theresa. „Ich muss noch mal in euer Zimmer.“

„Was? Warum?“, fragte Theresa misstrauisch, aber Fan Ting drängelte sich bereits hinein. Sie ließ den Blick schweifen. Alles schien ordentlich und normal. Doch diesmal suchte sie mit anderen Augen. Wenn Dora ein geheimes Leben hatte – was hätte sie verborgen? Oder anders gefragt: Was hätte sie mitgenommen?

„Hast du noch irgendetwas bemerkt, das an dem Abend anders war? Oder etwas, das am Morgen, nachdem Dora weg war, gefehlt hat?“

Theresa zögerte. „Nein, nichts … also, ich meine …“ Sie biss sich auf die Lippe.

„Was?“

„Es ist nur … mein Makeup-Koffer ist weg. Und ein Abendkleid.“

Fan Ting blinzelte. „Hat Dora es genommen?“

„Ja. Ich wollte nichts sagen, weil … naja, du weißt, wie streng ihre Eltern sind. Ich wollte nicht, dass sie noch mehr Ärger bekommt.“

Das passte. Also hatte sie sich wohl für eine dieser drei Richtungen entschieden: Sängerin, Model oder Schauspielerin. Aber wohin war sie gegangen?

Da fiel Fan Ting noch etwas ein: Dora war immer traurig gewesen, dass sie noch nie außerhalb von Neuengland gewesen war. Sie hatte oft über große Städte geschwärmt. Und dann war da noch ihr merkwürdiges Hobby gewesen: Sie hatte alte, gedruckte Reiseführer gesammelt – etwas, das in Zeiten von Smartphones ziemlich ungewöhnlich war.

Fan Ting blätterte Doras Sammlung durch – nicht zum ersten Mal, Dora hatte sie ihnen allen schon vorher gezeigt. Einer schien zu fehlen. „Guck mal T, Dora hatte doch auch einen von New York, oder?“

Theresa runzelte die Stirn. „Tatsächlich … der für New York ist verschwunden.“

New York. Die Stadt mit Theatern, Schauspielschulen, Modelagenturen. Ein Ort, an dem Dora mit Make-up, Abendkleid und einem neuen Namen verschwinden konnte.

„Hab dich!“

Doch als sie später aufgeregt erzählte, wie sie auf die Lösung gekommen war, erntete sie nur ungläubiges Kopfschütteln und ein paar Lacher. „Du bist ja wie ein wandelnder Krimi-Roman.“

Tatsächlich wurde Dora später in New York aufgespürt. Es stellt sich heraus, dass ihre Flucht in die große Stadt nicht ganz so glamourös endete, wie sie sich das vorgestellt hatte … als sie wegen unsittlichem Verhalten verhaftet werden sollte, nachdem sie von einem Fotoshooting völlig aufgelöst und nur in Unterwäsche auf die Straße stürmte.

Aber Fan Ting gelang es nicht auf diesen Erfolg stolz zu sein. Sie hatte es richtig erraten – und trotzdem nahm niemand sie ernst. Vielleicht war das ein Zeichen. Vielleicht war das alles doch nichts für sie …

Doch tief in ihrem Inneren musste sie sich eingestehen: Sie hatte es genossen. Das Rätseln, die Spurensuche, die Aufregung. Und auch wenn sie sich nie getraut hätte, ihre Familie zu enttäuschen, würde sie insgeheim immer nach dem nächsten Geheimnis Ausschau halten …“

Ob ihr detektivisches Talent damals wirklich ernstgenommen wurde oder nicht – heute wissen wir: Wer Geheimnisse hat und sie behalten möchte, sollte sich besser von Fan Ting fernhalten.


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