
Oder: warum beige nicht die Antwort ist đGestern Abend hatte ich eine Idee. Eine dieser Ideen, die nur abends auftauchen, wenn das Gehirn schon fast ausgeschaltet ist und die Welt ein bisschen tiefer erscheint als am Morgen. Ideen, die mit Trommelwirbel und Fanfaren im Kopf aufschlagen, nur um dann von der Realität erschlagen zu werden.
„Wolltest du nicht erst noch…?“ fragte mein Gewissen mit hochgezogener Augenbraue, und zack – die Idee fiel in ein schwarzes Loch aus Kaffee, To-do-Listen und Existenzfragen.
Na gut. Also blieb die Idee irgendwo zwischen meinem Kopfkissen und meiner Kaffeetasse stecken, und jetzt sitze ich hier und versuche, sie wieder einzufangen.
Es ging um Schönheit. Und um Wahrheit in der Sprache. Jetzt sitze ich hier und versuche die Idee zu rekonstruieren, während mir bewusst wird, dass Schönheit als Konzept vielleicht genauso flüchtig ist wie meine gestrige Genialität.
Wie ist das möglich?
Schönheit ist nicht gleich Wahrheit
Kennt ihr das? Diese Texte, die so unfassbar schön geschrieben sind, dass man glaubt, man hätte gerade den heiligen Gral der Sprache gefunden – nur um nach drei Absätzen festzustellen, dass da rein gar nichts drinsteht?
Es ist wie bei einer Torte aus Sahne und Zuckerstreuseln, die beim ersten Bissen sensationell schmeckt – und dann merkt man: Da ist nichts drunter. Kein Kuchen. Kein Inhalt. Nur noch mehr Sahne. Und irgendwann liegt man mit einem Zuckerschock am Boden und fragt sich, warum man sich so leicht hat täuschen lassen.
Ein Satz kann schön sein. Ein Absatz kann atemberaubend sein. Aber Schönheit macht keine Aussage wahrer.
Ich könnte jetzt die Szene eines Doppelmords in reinstem Sprachgold beschreiben – das Blut perlt in eleganten Tropfen, das Mondlicht wirft kunstvolle Schatten, die Stille ist von beinahe poetischer Schwere durchzogen. Klingt fast romantisch. Ist aber immer noch ein Doppelmord.
DIE PFANNKUCHEN-MILCHREIS-THEORIE (beige, oder? đ )
Schönheit ist nicht absolut. Sie ist immer gebunden an etwas – ein Gesicht, eine Blume, einen Satz. Aber sie existiert nie für sich allein.
Und doch tun wir oft so, als wäre Schönheit ein eigenständiges Konzept. Und was passiert dann?
Genau: Sie wird uniform.
Nehmen wir das Ballett. Eine einzelne Ballerina muss perfekt sein – jede Bewegung, jeder Sprung. Doch in einer ganzen Ballettgruppe zählt nicht die individuelle Schönheit, sondern die Einheitlichkeit. Wenn eine Tänzerin ein bisschen schlechter ist als die anderen, fällt es kaum auf. Die Schönheit entsteht hier nicht durch Individualität, sondern durch Synchronität.
Dasselbe gilt für Sprache. Ein Roman braucht einen einheitlichen Stil, sonst wirkt er unfertig. Aber wenn Einheitlichkeit zur einzigen Qualität wird – dann ist sie nichts mehr wert.
Ein Gedicht, das nur schön ist, ist wie eine Ballerina, die perfekt tanzen kann, aber nur in einem dunklen Raum ohne Zuschauer. Nett gemeint, aber irgendwie sinnfrei.
Schönheit ohne Kontrast ist nichts.
Glaubt ihr nicht?
Versucht mal, sieben Tage hintereinander nur Pfannkuchen und Milchreis zu essen. Klingt gemütlich, oder? Am dritten Tag wollt ihr eine Faust durch die Wand schlagen. Am vierten fangt ihr an, weinend vor einem Stück trockenem Brot zu knien.
Schönheit braucht das Unperfekte. Das Dissonante. Den Bruch. Ohne das ist sie einfach nur beige. Und wir wissen ja, wo Beige uns hingebracht hat.
Warum ist plötzlich alles beige?
Websites, Branding, Instagram-Feeds. Beige. Pastell. Sanft und harmlos. Visuelle Baldrian-Tropfen für die Augen.
Es ist, als hätte die Welt beschlossen, dass Schönheit mit völliger Abwesenheit von Individualität, von Ecken und Kanten gleichzusetzen ist. Dass Ästhetik erst dann gut ist, wenn sie alles glattbügelt.
Aber wenn alles schön ist, ist nichts mehr schön. Das ist die Schöner Wohnen-Katalog-Hölle der Existenz.
Denn wenn jeder Stil glatt, „clean“ und makellos ist – dann gibt es keine Kontraste mehr. Keine Ecken. Keine Kanten. Keine Überraschungen.
Und genau das ist das Problem.
Denn echte Schönheit entsteht genau dort, wo es ruckelt. Wo es kracht. Wo Dinge nicht zusammenpassen, aber gerade dadurch lebendig wirken.
DIE KONSISTENZ DER ÄSTHETISCHEN SUPPE
Jetzt könnte jemand einwerfen: „Aber Schönheit wertet doch alles auf!“
Klar. So wie Glitzer auf einem Müllsack.
Oder: Stell dir eine unappetitliche Suppe vor. Wirklich ekelhaft. Aber sie wird in den höchsten, poetischsten Tönen beschrieben – als „farbenfrohes Fest für die Sinne“, als „wohltemperierte Symphonie der Aromen“.
Erwartest du jetzt, dass sie besser schmeckt?
Oder nehmen wir einen Parkplatz. Einen langweiligen, bröckelnden, grau-betonierten Parkplatz. Und dann kommt jemand und beschreibt ihn als „eine urbane Landschaft voller gelebter Geschichte“.
Klingt fancy. Aber es bleibt ein Parkplatz – wer schon einmal auf der Suche nach einem Haus Anzeigen von Immobilienmaklern durchstöbert hat, weiß, wovon ich rede.
Das ist das Problem mit Schönheit: Sie ist ein Instrument. Sie kann verstärken, unterstreichen, emotionalisieren – aber sie trägt nichts. Und trotzdem ist sie übermächtig.
Sie beeinflusst, wie wir Dinge wahrnehmen, welchen Wert wir ihnen geben. Sie lässt uns glauben, dass das, was schön ist, auch wahr ist.
Obwohl die Schönheit nichts dafür kann, da es sie gar nicht gibt. Sie ist nichts Reales, und auch ihre Definition ändert sich mit den Generationen.
Also, was tun? Schönheit für immer verbannen? Uns in Chaos und in absichtlich hässlichen Dingen suhlen, nur um der Ästhetik zu entkommen?
Nein.
Aber wir könnten anfangen, sie zu durchschauen. Zu hinterfragen. Und zu akzeptieren, dass wahre Schönheit nicht in Perfektion liegt, sondern in den Brüchen.
Also los – wir brauchen mehr Kräusel. Mehr Ecken. Mehr Widerstand.
Mehr Suppe, die einfach nur Suppe sein darf.
Und vor allem sollten wir vielleicht mal alle zusammen weniger Beige verwenden.
Beige ist das ästhetische Äquivalent zu Instant-Kartoffelpüree. Es hat schon seinen Zweck, aber man sollte sich nicht ausschließlich davon ernähren. Beige ist nicht die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und allem und wird es auch nie sein đ
Kommentar hinzufĂŒgen
Kommentare