
„Beruhig dich!“
Statt bis zehn zu zählen, überlege ich, welchen Rang dieser Satz auf der Liste meiner am meisten verabscheuten Phrasen einnimmt, wenn ich gestresst bin.
Als ob ich mich beruhigen könnte, bei dem was ich auf dem Zettel habe, bei der soll ich als nächstes A, B, C oder H-M erledigen. Ich will keins davon, aber ich habe das Gefühl mir bleibt nichts anderes übrig
- was, wenn ich es recht betrachte für mich schon immer die Hauptquelle für Stress war: das Gefühl keine Wahl zu haben.
Ist das richtig? Ist die Wurzel des Stress Übels das Gefühl oder der tatsächliche Umstand keine Wahl zu haben?
Das kommt mir im ersten Moment seltsam vor, wenn ich an meine übervolle To-Do-Liste denke. Das ist es, was den Stress verursacht, oder? Zu viele Aufgaben und Verantwortlichkeiten und Deadlines – genau und viel zu wenig Zeit.
Aber was wäre, … wenn ich die Wahl hätte? Zum Beispiel wann ich etwas tue, wie, in welcher Reihenfolge – oder ob ich es überhaupt tue … wäre der Stress dann weg?
Wenn ich auf meine Liste schaue, stehen da fast nur Dinge drauf, die ich machen möchte, zumindest nicht zu ungerne tue oder solche, die mir wenig Stress bereiten – für sich genommen, zu einem Zeitpunkt meiner Wahl.
Die meisten Aufgaben ließen mir sogar die Wahl des Zeitpunktes ihrer Erledigung in einem sehr großzügigen Rahmen – nur habe ich sie nicht erledigt. Sondern stattdessen … der Liste eventuell eine neue Aufgabe hinzugefügt, und zwar weil … ich vielleicht unzufrieden mit mir war, die erste Aufgabe (noch) nicht erfüllt zu haben. Das würde erklären, warum die Liste immer länger wird und mein Stresspegel steigt: mit jeder weiteren Aufgabe wird mein Entscheidungsfenster enger, bis ich schließlich keine Wahl mehr habe, außer eine Aufgabe nach der anderen zu erledigen, in kürzester Zeit und vorgegebener Reihenfolge.
Das ist der Zustand, in dem jede Störung eine Katastrophe und jeder Fehler ein Supergau ist.
Und ich mich gefühlt ständig ärgere und das Adrenalin meinen Stress fördert und ich mich noch schneller ärgere – was meine Produktivität und Kreativität blockiert oder zumindest behindert, was mich bremst, was den Zeitdruck erhöht, was den Stress steigert, was …
Warum kann ich nicht einfach STOP sagen und einen Augenblick innehalten? Richtig, siehe oben, weil ich keine Wahl habe.
Und wenn ich krank wäre? Bin ich aber nicht. Aber wenn ich es wäre? Dann müsste ich versuchen zumindest die Aufgaben zu erledigen, die trotzdem möglich wären. Oder die am dringendsten sind.
Und wenn das nicht geht?
…
Ähm – wie nicht geht?
Naja, ich könnte ja … was weiß ich, keinen Strom haben, kein Internet, hohes Fieber, starke Schmerzen, es könnte etwas geben das mich davon abhält …
Nein, dann muss ich einen anderen Weg finden.
Okay – also … ich bin überzeugt, dass ich trotz Strom- und Internetausfall, hohem Fieber und starken Schmerzen einen Weg finden würde, meine Aufgaben zu erledigen?
Ja sicher, sie müssen doch erledigt werden.
Aber aktuell habe ich weder Strom- und Internetausfall, hohes Fieber oder starke Schmerzen … und bin gestresst, weil ich Angst habe, meine Aufgaben nicht zu schaffen?
Ja.
Das ist total blöd.
Irgendwie schon – aber Stress hab ich trotzdem gerade.
Ich habe das Gefühl, dass in meinem System gerade irgendein Alarm losgegangen ist, auch wenn ich hier vermeintlich ruhig sitze.
Stress-Alert? Dummheitswarnung? Kurzschluss?
Puh, Glück gehabt, nur der Selbstgesprächsmelder. Aber sollte der nicht nur triggern, wenn ich … OMG, was stand darüber noch im Handbuch?
Wieso Handbuch, seit wann gibt es für mich ein Handbuch?
Keine Ahnung, wäre aber Zeit für sowas.
Oh, stimmt, das ist eine total coole Idee. Was wäre, wenn es so etwas für jeden Menschen geben würde? Eingebaut in die DNA, oder die Seele oder im Hirn – wo man dann nachschauen könnte unter… hm.
Ich weiß, dem Buchstaben W wie in Warum muss ich immer Recht haben? Oder was …
Was will ich mit all den Notizzetteln auf meinem Schreibtisch? Falls ich die jemals lese, ist das, was draufsteht, längst wegen Zeitablauf erledigt.
Stimmt. Oder gibt es eine Möglichkeit, nicht immer sofort ungeduldig zu werden, wenn mir etwas zu langsam geht.
Wow, da gäbe es so vieles, das da drinstehen könnte und nützlich wäre … warum gibt es sowas nicht.
Vielleicht gibt es das und du weißt nur nichts davon?
Hey, ich bin nicht blöd, nur gestresst. Außerdem wüssten dann doch auch andere davon.
Und sagen es dir nicht? Wie fies – besonders beliebt bist du offenbar nicht.
Pöh – darauf muss ich es auch nicht anlegen – außerdem wissen die, dass ich intelligent bin, die denken sicher, ich weiß Bescheid – ich muss zugeben, dass ich diesen Eindruck gerne vermittle.
Tust du aber nicht.
Aber das wissen die ja nicht.
Eben.
Eben.
Ähm … gibt es nun ein Handbuch?
Vermutlich nicht.
Warum reden wir dann darüber?
Weil du Stress hast?
Aber dann hätte ich keine Zeit für das hier gehabt!
Und trotzdem hast du es gerade gemacht.
Was willst du mir damit sagen? Dass ich die Wahl hatte und nur zu blöd war, das zu erkennen – und dann statt einer Pause ein Selbstgespräch gemacht habe?
Das und – dass du gerade den letzten Artikel für die Space World Time(s) für diese Ausgabe geschrieben hast und nachdem du die in die Kolumne gehauen und den Newsletter geschickt hast … vielleicht Feierabend hast für heute.
Den Artikel? Welchen Artikel?
Na Krause Gedanken über Stress.
Aber ich wollte den Artikel über Humor schreiben.
Findest du das hier witzig?
Nein?
Dann bleib bei Stress 😉
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