Dazu habe ich eine ganz eigene Meinung, die sich auch zum Teil in den Reaktionen von Lesern widerspiegelt: so sehr ich eine interessant „gebaute“ Welt auch mag, für mich entwickelt sie sich vor allem aus dem Zusammenspiel der Charaktere mit der Geschichte und den großen Themen meiner Bücher. Die Grundidee der Space World war ja eine Welt wie unsere, in der es nur einen grundsätzlichen Unterschied gibt, die Existenz des Space (vermutlich, beweisen kann es sicher niemand 😉)
Das wirft folgende Frage auf: wenn die Charaktere (also Menschen und ihre Entscheidungen) die Welt formen, bestimmen sie dann auch ihre Gesetze? Sogar die des Universums? Nicht im Sinne von erschaffen, aber im Sinne von benennen und erklären und sogar beweisen! Werden die von Menschen "gefundenen" Gesetze des Kosmos sich nicht immer nur im Spektrum des menschlichen Verständnisses bewegen - und definiert nicht insofern immer der Charakter oder die Charaktere das World Building?
Es sei denn natürlich, ein Autor hat erst die Idee von einer Welt und dann erst von Charakteren in dieser Welt - mein Hirn funktioniert allerdings "charakterzentriert", ist wohl eine alte Psychologenkrankheit 😉

Dazu kommt, dass ich schon immer so geschrieben habe, als würde die Geschichte schon existieren und ich müsste sie nur noch aufschreiben oder mich an sie erinnern. Dieses Gefühl ist manchmal so stark, dass es mir fast wie schummeln vorkommt, denn ich habe nie das Gefühl, als würde ich die Geschichte erfinden, oder die Welt bauen. Vielmehr entdecke ich sie beim Schreiben gemeinsam mit den Charakteren für meine Leser und versuche sie dann einzufangen. Und ich bin ein Hardcore-Plotter, versteht mich nicht falsch, ich schreibe nicht einfach drauflos.
Dann kann es sein, das es genau ist wie in der „realen Welt“: man entdeckt einen Zusammenhang, hält das für eine Erklärung, testet sie und kommt zu dem Schluss, dass man seine Vermutung bewiesen hat … und drei Seiten später stößt man dann auf etwas, das alles über den Haufen wirft, so wie Newton die Gravitation beschrieben hat – und dann kam Einstein und hat sie einfach in eine Raumzeit-Krümmung verwandelt – oder wie Physiker sicher waren, dass Licht entweder Teilchen oder Welle ist – und es dann beides war. Gleichzeitig. Je nachdem, wie man hinschaut.
Manchmal höre ich, dass es sicher einfacher ist, in einer Welt zu schreiben, die fast identisch mit unserer ist. Diese Aussagen höre ich allerdings nur von Menschen, die die Bücher noch nicht gelesen haben. Ich würde sagen, die Herausforderungen an das World Building sind zum Teil andere als in stärker oder vollkommen phantasiegeprägten Welten.
Da die Ähnlichkeiten sehr groß sind, werden die Unterschiede umso bedeutsamer, die Konsequenzen wichtiger und die Erzählung erfordert mehr Präzision. In einer Phantasiewelt muss die Erklärung dafür, dass jemand in seine Bestandteile zerfällt oder im Raum schwebt vielleicht erklärt werden – aber niemand verlangt eine physikalisch stichhaltige oder zumindest plausible Erklärung dafür – in meiner Welt schon. Und da ich über eine Welt mit einem kleinen Unterschied schreibe, sind diese kleinen Unterschiede mit unserer Wissenschaft und Technik oft nur bedingt erklärbar.
Zudem bin ich keine Wissenschaftlerin und mein technisches Verständnis von z.B. Computern besteht darin das ich das Problem vor dem Bildschirm bin. Aber Wissenschaft fasziniert mich und ich betrachte es jedes Mal als persönliche Herausforderung eine wissenschaftlich plausible oder zumindest nicht so leicht widerlegbare Erklärung für Unerklärliches zu finden.
Ist das jetzt World Building? Ich bin nicht sicher.
Allerdings habe ich etwas interessantes festgestellt, als ich über ein „Gesetz des World Buildings/der Magie“ von Brandon Sanderson nachdachte, das lautet ungefähr: Die „Magie“ (oder Superkraft oder ähnliches) muss einen Preis haben, sonst ist ihre Wirkung völlig vorhersehbar und ohne Konsequenzen und damit langweilig und menschlich nicht sehr bedeutungsvoll.
Das fand ich auch immer nachvollziehbar, auch wenn ich völlig „Wilde Magie“ oft als „Deus ex Machina“ empfinde, was mich stört. Aber dann dachte ich beim Schreiben einer Szene darüber nach und stellte fest: ich möchte dieses Gesetz nicht grundsätzlich so in meiner Welt anwenden. Nicht weil ich glaube, dass Sanderson damit unrecht hat, sondern um etwas zu erreichen, was ich mit einem harten Durchziehen dieses Prinzips nicht erreichen kann: eine realistische Welt.
Denn es ist klar, auch wenn Konsequenzen existieren, sind diese nicht für jeden Menschen unter allen Umständen identisch, selbst dann nicht, wenn es sich um Magie handelt. Eine Person könnte in einem Umfeld aufwachsen, in dem diese Begabung/Fähigkeit Ansehen und Bewunderung verspricht, einer anderen mit derselben Gabe wird schon früh der Scheiterhaufen prophezeit. Das Leben ist nicht gerecht und der Preis, den du für deine Magie bezahlst, ist keine harte Währung: manchmal ist er ein Lächeln und manchmal ist er dein Leben.
Und dann gibt es noch die Charaktere wie Zen, die etwas gefunden haben, das jenseits aller Magie und jedes World Buildings existiert:
Auszug aus Verhängnisvoller Kontakt:
„Ich muss doch wissen, wie die Welt funktioniert, in der ich lebe. Dass es Regeln gibt, Gesetze und Grenzen. Was wahr und was Einbildung ist. Ich muss das wissen – und bis eben dachte ich auch, dass ich es weiß. Ich brauch das, ich habe Angst, wenn ich nicht weiß, was real ist, dann … Wie schaffst du es, sowas zu glauben, ohne durchzudrehen?«
Zen schwieg lange und Rena dachte schon, er würde darauf nicht antworten, aber sie konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Als er schließlich wieder etwas sagte, tat er es langsam, suchend, aber sehr sicher.
»Weißt du, ich überlege, was ich weiß und was ich nicht weiß, so mach ich das immer, wenn ich was nicht verstehe. Ich weiß, dass ich nicht verrückt bin und ich weiß, dass nicht nur ich Thorn hören kann und die Sachen sehe, die sie macht. Ich weiß, man kann Leute schweben lassen, wenn man weiß, wie man das mit der Energie macht, zum Beispiel Astronauten oder Leute in so einem Kotzbomber. Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber ich weiß, dass es geht. Also weiß ich, dass es völlig egal ist, ob ich es verstehe, ich meine, es ist nicht wahr oder eingebildet, weil ich es verstehe oder eben nicht.
Ich weiß ganz viele Sachen nicht, lauter Zeug wie … der Himmel, wenn die Sonne aufgeht wird der so hellgelb und rosa, aber wenn sie untergeht, dann ist er orange und dunkelrot. Wieso? Ist doch derselbe Himmel und dieselbe Sonne. Ist aber so, jeden Tag, ob ich das verstehe oder nicht. Doofes Beispiel, ich weiß, aber mir fällt nix besseres ein gerade, ich bin nicht so super schlau wie ihr.«
Rena starrte nach oben in den Himmel und stellte sich die Farbe des Sonnenauf und -untergangs vor. Sie konnte die Farben vor sich sehen, ganz klar, während ihre Hände den Sand und das Gras neben ihr spürten. Und sie hatte auch keine Ahnung, warum der Himmel diese Farben hatte, aber sie wusste, dass es eine Erklärung gab – nur änderte das absolut nichts, ob sie die kannte, dem Himmel war das völlig egal.
Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, überrascht wie leicht das mit einem Mal war – und dann begann sie zu lachen, ein Lachen von tief im Inneren, ein Lachen, das sie von sich seit sehr langer Zeit nicht mehr gehört hatte. »Du bist genial Zen! Ist so, ob ich es verstehe oder nicht! Das werde ich mir tätowieren lassen.«
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