
Zeit fühlt sich an wie atmen, zumindest für mich, etwas das so natürlich und immer da ist, dass ich es fast nicht bemerke, bis ich darauf achte. Dann verändert sich das Gefühl für die Zeit, denn dann ist sie an etwas gekoppelt, auf das ich warte, was ich will, das ich fürchte usw. Dann bekommt Zeit auf einmal eine Geschwindigkeit, ein Gewicht, einen Klang ...
Ist es dann noch die Zeit, die ich wahrnehme, oder meine Gefühle für das, was in dieser Zeit passiert?
Das gehört für mich zu den interessantesten Dingen an der Zeit: wenn nichts passiert (vor allem innerlich) und ich mir dessen bewusst bin, dann scheint die Zeit oft fast still zu stehen, die Minuten kriechen dahin und wann immer ich auf die Uhr schaue, hat sich kein Zeiger bewegt.
Die Schlussfolgerung könnte sein: willst du ewig leben, dann musst du dich nur bewusst langweilen, dann fühlt es sich wie ewig an :-)
Aber was wenn ich nicht merke, dass nichts passiert, sich nichts ändert? Dann vergeht die Zeit für mich eben unbemerkt - und wenn ich hinschaue, ist wieder eine Stunde verschwunden. Und wenn soviel passiert, dass ich keine Zeit habe auf die Uhr zu schauen? Dann kann sie vergehen – und ich frage mich später dennoch, wie soviel in so wenig Zeit passen konnte.
Könnte Zeit so ein Schrödinger Phänomen sein? In dem Moment, in dem ich hinschaue, bleibt sie stehen und scheint bewegungslos zu sein, aber wenn ich nicht hinschaue, läuft sie fröhlich weiter? Also töte ich die Katze, wenn ich hinschaue.
Würde das heißen ich kann die Zeit nicht fühlen, also bewusst wahrnehmen? Bin ich deshalb Autorin geworden und kein Wecker?
Existiert Zeit unabhängig von uns – oder doch zumindest unabhängig von einem Bewusstsein, das sie erlebt? Das ist jetzt nicht die Frage ob ein Baum im Wald, wenn er umfällt ein Geräusch macht auch wenn keiner ihn hört – glaube ich zumindest.
Wenn Zeit bedeutet, dass es etwas davor und danach und jetzt gibt – setzt das ein Bewusstsein voraus, das in solchen Bahnen denkt? Wäre ein Bewusstsein vorstellbar, das davor und danach und jetzt nicht als voreinander getrennte Zustände erlebt, sondern als Einheit, ein Bewusstsein, für das die Verbindung zwischen dem Gestern, Heute und Morgen stärker ist als das, was sie trennt? Ein Bewusstsein, das eine Geschichte als Einheit sieht und keine Kapitel braucht?
Ich versuche mir so eine Wahrnehmung der Welt vorzustellen – und es gelingt nur halb in der Theorie, aber ich verstehe die Idee. Ein Bewusstsein, das nicht war oder wird, sondern nur ist, alles und immer, in jedem vorstellbaren Augenblick und Stadium seines Seins. Vielleicht ist es deshalb für mich so schwer vorstellbar: aus der Sicht eines Menschen wäre so ein Wesen ewig und niemals, ein paradoxer Gott.
Doch ich brauche die Zeit um Mensch zu sein, als Voraussetzung dafür zu leben, damit Geschichte entstehen kann.
Bauen wir die Geschichte durch unsere Gedanken? Wenn ja, mal unabhängig ob aktiv oder nicht – dann würde das bedeuten, dass es so etwas wie Geschichte nur auf der Ebene das Individuums gibt, jedenfalls diese Version der Geschichte. Dann wären auch historische Ereignisse so etwas wie Zeiteinheiten: eine Wahrheit, auf die sich die Menschen verständigt haben, ein Etikett auf der Vergangenheit.
Erinnerungen sind keine Wahrheit, sondern unsere individuelle Version einer Geschichte. Bauen wir sie deshalb? Manchmal vielleicht – aber viel öfter entsteht sie dadurch, dass wir sie erleben – und uns an das Erlebte erinnern.
Und was passiert, wenn wir uns nicht mehr erinnern? Wenn wir vergessen? Wir fallen aus der Zeit! Für eine Weile können wir noch in der Gegenwart bestehen, aber dann beginnt auch sie sich aufzulösen, weil uns der Boden der eigenen Geschichte unter den Füßen fehlt.
Und ohne Geschichte vergisst uns auch die Zeit.
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