Verfasst von Harlan Finch – Beobachter der kleinen Rätsel
Manchmal beginnt eine Geschichte nicht mit einem Knall, sondern mit einem vergilbten Brief, einem vergessenen Eintrag im Bauamt – und einem Namen, den keiner mehr so recht auf dem Schirm hatte.
Lynch. Wyatt Lynch. Widow Creek, südwestlich von Granger, Iowa. Eine Farm, so unauffällig, dass sie aus dem kollektiven Gedächtnis des Ortes zu verschwinden schien – bis man genauer hinsieht.

Ich bin auf die Geschichte gestoßen, weil mir ein Kollege aus der Stadtverwaltung einen alten Vorgang zeigte: Ein Grundstück, das offiziell als „verlassen“ gilt, aber bis vor Kurzem noch als bewohnt geführt wurde.
Keine Antwort auf Behördenpost, keine Reaktion auf Eigentumsfragen – aber regelmäßige Paketzustellungen bis etwa vor einem Jahr. Dann ein Vermerk: Todesfall. Seitdem: Funkstille. Oder fast.
Der Mann, den niemand kannte Wyatt Lynch lebte Jahrzehnte lang auf der Farm. Allein. Zumindest offiziell. Die meisten hier erinnern sich kaum an ihn. Ein zurückgezogener, wortkarger Mann, der auf niemanden hörte, mit niemandem sprach – und irgendwann nicht einmal mehr den Hof verließ.
Manche behaupten, er habe Stimmen gehört. Andere sagten, er sei einfach gebrochen gewesen – seine Frau sei vor vielen Jahren bei einem Unfall gestorben, und er habe nie darüber hinweggefunden. Die beiden seien ein seltsames Paar gewesen, völlig aufeinander bezogen, fast nie in der Stadt. Danach sei er nur noch „der Verrückte von Widow Creek“ gewesen.
Bei meinen Recherchen kam ein Gerücht auf, das mir eine Gänsehaut verpasste.
Eine ältere Nachbarin erzählte: „Ich habe einmal ein Mädchen gesehen. Hellrote Haare und ein herrliches Lächeln. Lange her. Auf dem Feld. Ich hab ihr zugewunken – aber als ich näher kam, war da niemand.“
Andere meinten, der alte Lynch habe Pakete für eine „R. Lynch“ angenommen – aber niemand hatte je diese Person gesehen. War da wirklich ein Kind? Eine Tochter? Und wenn ja – warum wusste niemand davon?
Und doch ist es nicht nur die Vergangenheit, die Fragen aufwirft: Im Jahr nach dem Tod von Wyatt Lynch haben mehrere Leute auf dem Grundstück seltsame Dinge erlebt, über die sie aber ungerne sprechen. Nichts Konkretes – aber genug, um der Farm den Ruf zu verleihen, das sie Leute „verrückt macht“. Und genug, um mich neugierig zu machen.
Ich weiß nicht, was an der Geschichte dran ist. Vielleicht gar nichts. Vielleicht war es nur ein alter Mann, der lieber allein war. Vielleicht eine Familie, die man zu lange ignoriert hat. Aber vielleicht auch etwas anderes.
Ich fahre nächste Woche hin. Nur mal sehen, ob wirklich alles leer ist. Oder ob da noch jemand wohnt.
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