Revision: Die geheime zweite Geburt eines Romans

Ich weiß nicht, wie viele meiner Leser wissen, was eigentlich passiert zwischen "Yeah, das Buch ist geschrieben!" und „uff, es ist bereit für das Layout oder sogar den Druck" ... oder von "Yeah, coole Idee für ein Buch“ bis zu „uff, das Manuskript ist fertig - im Entwurf". 
Vielleicht hätte ich erst Letzteres schreiben sollen - womit wir auch schon mitten im Thema sind: die - zumindest von mir - gefürchtete Revision/Überarbeitung = noch einmal durchsehen (wörtlich mit ‚wieder anschauen‘ zu übersetzen), um zu korrigieren oder zu verbessern.

Wer jetzt denkt „Klar, damit nachher nicht all die Rechtschreibfehler drin sind“ – weit gefehlt, dafür habe ich noch ein Korrektorat von einem Profi. Die Revision dient dazu, zu prüfen, ob alles andere stimmt. Und ja, da gibt es eine Menge anderes, damit ein Buch dich nicht zum Einschlafen bringt, oder du es wütend in die Ecke wirfst, weil es unlogisch ist oder du der Geschichte nicht folgen kannst.

Die Geschichte: ja klar, sollte so ein Buch schon haben 😉 Aber sie muss auch in sich logisch, plausibel in der Realität der Buchwelt und für den Leser nachvollziehbar sein. Außerdem natürlich spannend … hier ist mal der erste richtige Knackpunkt: spannend sind Dinge, wenn sie Fragen aufwerfen, auf die wir die Antworten finden wollen. Also müssen die Antworten nicht offensichtlich sein, sonst ist es ja nicht spannend.
Aber andererseits muss alles verständlich und nachvollziehbar sein, sonst verliert der Leser erst die Übersicht und dann die Lust weiterzulesen. Und es muss – zumindest aus meiner Sicht – ehrlich sein, also die Intelligenz des Lesers nicht beleidigen durch Erklärung des Offensichtlichen, aber ihn auch nicht hintergehen, indem Lösungen durch nicht bekannte Tatsachen oder ähnliche unelegante Kunstgriffe erfolgen.

Ich liebe die Herausforderung, die vor allem in der Revision darin steckt – denn hier wird all das von mir überprüft: Szene für Szene schaue ich mir an, was passiert, was ist der Zweck der Szene und welche offenen Fragen stehen am Ende der Szene, wie z. B. „Auf wen hat Croix versucht zu schießen, wen wollte er tatsächlich töten?“ oder „Was für ein Wesen ist Thorn wirklich?“ um mal wirklich entscheidende Fragen aufzugreifen.

Ich muss nicht nur die Antworten auf all diese Fragen kennen, ich muss auch sicherstellen, dass sie beantwortet werden, und zwar zum richtigen Zeitpunkt (oder meist Stück für Stück) und dass die Antwort dann in jeder Hinsicht mit allen anderen Fakten der Geschichte und der Charaktere zusammenpasst.
Nur mal so als Anhaltspunkt: dass gerade fertiggestellte Buch hat 132 Szenen und am Ende jeder Szene stehen 3-6 Fragen ungefähr … also insgesamt ziemlich viele 😊

Die Charaktere: das Herz und das tragende Element meiner Bücher. Es sind sehr viele, selbst wenn ich nur auf die Haupt- und wichtigsten Nebencharaktere schaue. Und mit ihnen gibt es sehr viele Blickwinkel aus denen Teile der Geschichte erzählt werden. Nicht jede Figur hat ihren eigenen Blickwinkel aber doch so 8-10 pro Buch.
Auch sie haben natürlich Geschichten, ihre eigenen Lebensgeschichten, ihre Beziehungen zueinander und alle haben ihre Rollen in der großen Geschichte in jedem Buch und über viele Bücher hinweg. Sie haben also nicht nur Namen, Haarfarben und Lieblingsessen, sondern auch ihre individuellen Ziele, Wünsche, Ängste, Vorlieben und Abneigungen, absurden Sinn für Humor oder auch gar keinen, Talente und Schwächen, eine Vergangenheit und hoffentlich auch eine Zukunft – und sie haben Geheimnisse und Beziehungen zu anderen Charakteren – was manchmal ein und dasselbe ist.
Und was passiert mit ihnen in der Revision? Ihre Charakterentwicklung wird betrachtet: wo steht der Charakter am Anfang des Buches, was will er, welche Schwierigkeiten muss er überwinden, wie verändert er sich, wo steht er am Ende – und passt das alles zum Charakter und zur Rolle in der Geschichte. Aber vor allem sind sie es durch die wir die Geschichte und die Welt erleben, durch ihre Augen sehen die Leser die Welt – und ja, ich auch, weshalb es gut ist, das [dass] es so viele sind, denn die SpaceWorld ist weit mehr als es auf den ersten Blick erscheint…

Die SpaceWorld: Also das WorldBuilding. Auch wenn am Anfang von Buch 1 einige sicher denken „SciFi? Hm… scheint doch alles eher normal zu sein“ (so wie bei Peter Parker vor dem Spinnenbiss – okay, Steve bekommt seinen Spinnenbiss schon in Zeile eins … aber das weiß ja keiner), ein paar Jahre in der Zukunft, aber sonst … kommen dann doch schon langsam Seiten der Welt zum Vorschein, die doch [für uns] nicht ganz alltäglich sind. Aber diese Art des langsamen WorldBuildings während man liest, ist eine ständige Herausforderung beim Schreiben: denn obwohl ich sehr viel von dieser Welt schon entworfen habe (bis hin zu Genesis 2.0), entdeckt der Leser die Welt, die unter der alltäglichen … man kann nicht wirklich sagen schlummert, sondern mehr brodelt – eben als kleine Stücke eines größeren Puzzles – und es ist wichtig dass richtig zusammenzusetzen.

Die Struktur: Stimmt der Aufbau, die gewählte Zeit und die Erzählperspektiven und sind sie auch durchgängig richtig? Stimmt das „Pacing“ – also wie schnell oder langsam wird erzählt, passt das zum Inhalt und gibt es genug Abwechslung = Dynamik?

Die Sprache: Das ist der letzte Schritt – und auch hier geht es noch nicht um Rechtschreibung oder Grammatik. Es geht um den Ton, der passen muss, zur Story, zum Genre, zum jeweiligen Charakter. Um die Dialoge, die natürlich klingen sollen – nein, das bekommt man nicht dadurch hin dass man sie so schreibt wie man Leute reden hört 😉 Ist die Sprache passend zum Genre in Komplexität, Wortwahl usw.?

Und am Ende… hört es sich flüssig und richtig an = Lautlesen-Test … ja, ich sitze dann hier und lese Hund und Kater das Buch vor!

Wenn ich das so lese, dann klingt das nach ziemlich viel Arbeit – und das ist es auch und man hat das Gefühl es nimmt kein Ende, denn es gibt immer noch etwas, das noch klarer, noch witziger oder noch geheimnisvoller sein könnte. Aber irgendwann muss man den letzten schwierigen Schritt machen: das Buch loslassen und zum Lektorat oder Korrektorat schicken in dem Wissen, jetzt ist es fertig und was noch kommt ist nur noch Korrektheitskorrektur.

Das Bemerkenswerteste an einer Revision ist für mich, dass ich, bevor ich damit anfange, ganz sicher bin, dass das Buch inhaltlich und was die Story- und Charakterlinien angeht fertig ist und ich weiß dass ich daran nur noch Kleinigkeiten verändern werde – und das dennoch am Ende so unglaublich viel Neues dabei herausgekommen ist, lauter kleine und auch größere Zusammenhänge, die ich plötzlich noch erkenne, neue Verknüpfungen für zukünftige Bücher, Backstory die ich vorher nicht ausgearbeitet hatte für diesen Bereich und die auf einmal auftaucht und so perfekt passt … oder sogar ein Charakter, der sich plötzlich zu einem andere [anderen] entwickelt, oder einer der von einem Statisten in einem Buch unerwartet zum Player in einem anderen wird.
Kurz: ich weiß genau was passiert bevor ich anfange, ähnlich wie beim Schreiben des Entwurfes … aber wie genau es passiert oder wie es mit allem anderen zusammenhängt, das weiß ich erst wenn die Revision beendet ist.
Und das macht die Revision dann am Ende doch auch für mich spannend, denn hier darf ich auch mein Buch noch einmal entdecken.


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