Friendly Fire

Was treibt FBI-Direktor Anthony Gray an? 
Von außen wirkt Anthony Gray wie der Inbegriff von Disziplin. Seit knapp drei Jahrzehnten prägt er die Arbeit des FBI, inzwischen als Assistant Director in Boston. In den der Behörde nennt man ihn „Steingesicht“, in Pressebriefings erscheint er stets kontrolliert, sachlich, entschlossen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt einen Mann, der mehr beschützt als nur die Integrität seiner Institution.

Anlass für diesen Artikel war ein kurzer Moment auf einer Pressekonferenz, in dem Gray ungewohnt persönlich wurde. Er reagierte auf ein Gerücht, das in den sozialen Medien kursierte: von angeblichen Spannungen innerhalb der Behörde, von Misstrauen zwischen einzelnen Abteilungen und Agenten. Gray schob dem energisch einen Riegel vor: 
„Meine Leute sind Profis. Wer daran zweifelt, kennt weder ihre Arbeit noch ihren Charakter."

Was manche als rein strategisches Dementi abtaten, wirkte auf andere wie ein persönliches Statement. Denn Anthony Gray ist bekannt dafür, dass er seine Agenten nicht nur führt, sondern auch beschützt. Mit einer Hartnäckigkeit, die fast väterlich wirkt.

Um zu verstehen, warum Loyalität für Gray mehr ist als ein Schlagwort, hilft ein Blick in seine Vergangenheit. 1991 fiel sein Bruder Thadeus „Teddy“ Gray im Zweiten Golfkrieg. Anthony war damals 19 Jahre alt, Teddy 23. Die beiden waren eng verbunden. In einem seltenen Fernsehinterview mit 60 Minutes im Jahr 2007sprach Gray über ein Versprechen, das sein Bruder ihm vor dem Einsatz abgenommen habe: „Er meinte, auf mich würden andere Aufgaben warten. Und ich solle am Leben bleiben, um sie zu erledigen.“

Nach Teddys Tod hielt Anthony sich an dieses Versprechen. Doch kurz nach der Beerdigung begannen Gerüchte über „Friendly Fire“ als mögliche Todesursache. Für den neunzehnjährigen Anthony war das ein weiterer Schock – und eine Frage, auf die er eine Antwort suchte. Eine Suche, die bis heute nicht abgeschlossen ist.

Anthony Gray trat dem FBI bei. Nach der Ausbildung war er zunächst im Bereich Internationale Sicherheit, später in mehreren Undercover-Einsätzen in Europa und dem Nahen Osten tätig. Seinen Weg nach oben beschritt er mit Zielstrebigkeit und, so heißt es intern, mit einer bemerkenswerten Unbestechlichkeit. Was Gray auszeichnet, ist nicht nur sein analytischer Scharfsinn – sondern seine emotionale Zurückhaltung.

Privat lebt Gray zurückgezogen. Außer seiner Frau Linda, mit der er seit über 25 Jahren verheiratet ist, gibt es kaum jemanden, den man zu seinem inneren Kreis zählen könnte. Kinder hat das Paar nicht. Ein bewusster Entschluss, wie Gray in einem seltenen Interview vor einigen Jahren durchblicken ließ.

Sein Ruf ist zweigeteilt: kompromisslos in seinen Ansprüchen, loyal bis zur Selbstaufgabe gegenüber seinen Leuten. Wer mit ihm arbeitet, weiß, woran er ist. Und genau das ist es, was Gerüchte über innere Konflikte im FBI in einem anderen Licht erscheinen lässt. Vielleicht reagiert Gray so scharf auf die Vorstellung von Illoyalität, weil er selbst erlebt hat, was ein Moment des Verrats anrichten kann.

Ein Kollege, der anonym bleiben möchte, formulierte es so:

„Gray ist kein Mann, der Dinge vergisst. Und kein Mann, der noch einmal mitansehen will, wie jemand fällt, weil andere weggeschaut haben."

Ob er je erfährt, was mit seinem Bruder wirklich geschah, bleibt offen. Aber vielleicht ist die Frage auch nicht mehr, ob er Rache will – sondern ob er verhindern kann, dass so etwas jemals wieder geschieht.

Anthony Gray selbst bringt es in einem Satz auf den Punkt:

„Ich verlange von meinen Agenten, dass sie sich aufeinander verlassen können. Weil ich gelernt habe, was passiert, wenn das nicht möglich ist.“


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