Krause Gedanken über… Evolution

Wenn wir heute von Evolution sprechen, meinen wir meist Biologie. Darwin. Naturauslese. Fossilien, die in Museen stumm bezeugen, dass das Leben kein statisches Bühnenbild ist, sondern ein nie endendes Theaterstück mit ständig wechselnder Besetzung. 
Doch das ist nur ein Ausschnitt, ein populärwissen-schaftlicher Schnappschuss. Evolution ist nicht auf Gene beschränkt. Sie ist ein Prinzip. Ein Muster. Vielleicht sogar ein Naturgesetz – nur nicht in Form einer Formel, sondern als Bewegung durch Möglichkeit.

Ursprünglich, vom Lateinischen „evolutio“ – das Abrollen, Entfalten, Herauswickeln – war Evolution nichts Biologisches. Es war das Öffnen eines Buches. Ein Aufschlagen, ein Offenlegen. Erkenntnis durch Aufwicklung, durch Entfaltung. Also eigentlich... eine sehr literarische Idee.

Was passiert, wenn man dieses Verständnis wieder zurück in die Gegenwart holt? Dann wird Evolution plötzlich zu etwas, das überall geschieht – im Denken, im Fühlen, in Systemen, in Ideen, in Beziehungen. Alles, was sich entwickelt, trägt das Prinzip der Evolution in sich: Versuch, Irrtum, Anpassung. Nicht immer geradlinig, nicht immer aufwärts, aber immer: vorwärts durch Veränderung.

Und da wird es philosophisch. Denn was heißt das für uns als denkende Wesen? Wenn Veränderung nicht Ausnahme, sondern Grundbedingung ist – was bleibt dann noch fest? Wo finden wir Halt?
Vielleicht ist das der größte evolutionäre Schritt des Geistes: zu akzeptieren, dass Stabilität nicht Stillstand bedeutet, sondern gelassene Wandlung. Dass auch Identität ein Prozess ist, kein Zustand. Dass wir im Werden sind, nicht im Sein.

Evolution ist dann nicht nur, was die Welt tut. Es ist, was sie ist.

Wir entwickeln unsere Gesellschaften, unsere Werkzeuge, unsere Überzeugungen. Die Evolution der Ethik, der Technologie, der Sprache – alles vollzieht sich in Bewegungen, manchmal schleichend, manchmal eruptiv, manchmal scheinbar rückwärts.

Und dabei verwechseln wir oft Evolution mit Fortschritt. Doch nicht jede Entwicklung ist eine Verbesserung. Manches ist bloß Mutation – ein seltsamer Nebenzweig, der nur für eine Weile bestehen darf. Und auch das ist wichtig. Denn aus Vielfalt entsteht Möglichkeit. Und aus Möglichkeit entsteht Zukunft.

Vielleicht ist das der eigentliche Sinn von Evolution: Raum zu schaffen für das Noch-nicht-Gewesene. Für Alternativen. Für Irrwege und Umwege, für das Unerwartete. Für die vielen Versionen dessen, was möglich ist.

Und vielleicht – ganz vielleicht – liegt darin auch eine Art Trost. Dass wir nicht perfekt sein müssen, nicht einmal endgültig. Wir dürfen in Bewegung sein, unfertig, provisorisch.
Ein Mensch ist kein Endprodukt. Ein Gedanke keine abgeschlossene Form. Eine Gesellschaft kein Ziel, sondern ein Fluss.

Also: Wenn dein Leben gerade nicht nach Plan läuft, wenn sich alles irgendwie unfertig anfühlt – vielleicht ist es nicht kaputt. Vielleicht bist du einfach... in Evolution.

Und bevor jetzt jemand fragt:
„Aber was ist denn das Ziel von all dem?“
„Das Ziel? Vielleicht das Weitermachen.“
„Aber wohin?“
„Das lässt sich nur von dort aus sagen, wo du noch nicht bist.“


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