Tag oder nicht tag, das ist hier die Frage

Okay, das ist natürlich ein Monolog, aber es ist trotzdem die Frage. Denn auch so ein Artikel ist etwas wie ein Dialog, nur das die Reaktion des Lesers hier den Dialogpartner darstellt. Und dieser Einstieg könnte als Beispiel dafür dienen, das es nicht leicht ist, Kontext herzustellen, ohne ihn direkt zu benennen. Warum ist das so - und warum versuche ich es trotzdem? (Außer der offensichtlichen Antwort: verdammter Eigensinn 😉)

Wie viel handwerkliche Entscheidung in einem Dialog steckt, merken manche Leser erst, wenn sie plötzlich mitten in einem stecken, der nicht fließt, sondern in jeder zweiten Zeile hakt, weil er mit lauter kleinen Schildern versehen wurde, auf denen steht, wer gerade wie spricht — die sogenannten Dialogtags. Ich habe dazu eine klare Haltung, die über die Zeit gewachsen und beinahe stur ist: Ich schreibe Dialoge möglichst ohne Dialogtags.

Das klingt einfacher, als es ist, ist aber genauso radikal, wie es klingt. Aber bevor ich erzähle, warum ich mich für diese Methode entschieden habe, lohnt sich ein Blick auf die beiden Lager, zwischen denen die Diskussion darüber seit Jahren unnachgiebig ausgefochten wird.

Da sind auf der einen Seite die Autoren, die diese Tags als kleine Bühnenmomente verstehen, in denen etwas nicht einfach gesagt, sondern gehaucht, geflüstert, wütend gefaucht oder in einer Stimme wie Herbstlaub hervorgebracht wird. Die Idee dahinter ist, Emotion und Atmosphäre möglichst direkt im Tag selbst zu verankern.
Damit ist man auf der sicheren Seite, denn dem Leser wird genau gesagt, dass etwas wütend oder mit einer Stimme wie Herbstlaub gesagt wird - wobei ich mich dann oft frage, wie ich mir das vorstellen soll. Rauschend? Knisternd? So, als wäre der Hund gerade in den Blätterhaufen gesprungen? Schon bin ich abgelenkt und nicht mehr im Text - aber das ist wohl ein Problem meines Denkens.
Das eigentliche Problem ist: Viele dieser Konstruktionen sind Kombinationen aus schwachen Verben und verstärkenden Adverbien oder aus Adjektiven, die dem Dialog etwas unterschieben, was eigentlich die Szene selbst tragen müsste. So verblasst dann die eigentliche Handlung oft neben dem blumigen Vokabular. Bei Meistern wie Terry Pratchett kann das brillant sein; viele andere erzeugen damit eher unbeabsichtigte Komik.

Auf der anderen Seite stehen die Puristen, die ausschließlich „sagte“ und „fragte“ einsetzen. Die Theorie dahinter besagt, dass das Gehirn diese Wörter irgendwann nicht mehr wahrnimmt, als würden sie durchs Bewusstsein hindurchfallen. Meine Erfahrung ist eine andere. Ich sehe jedes einzelne, und nach ein paar Seiten lese ich kein Gespräch mehr, sondern ein Protokoll, in dem permanent markiert wird, wer gerade spricht. Aha — jetzt er. Aha — jetzt sie. Aha — jetzt das Kind. Für mich fühlt sich das so an, als würde der Text mir ständig erklären wollen, was ich ohnehin begreife. Und wer mich kennt weiß: sowas mag ich gar nicht ;-)

Jenseits dieser beiden Welten liegt das, was ich selbst tue. Ich habe meinen eigenen Stil: Ich lasse die Tags nahezu vollständig weg. Dadurch zwinge ich mich, alles über den Text selbst zu transportieren. Emotion, Stimmung, Subtext, Orientierung. Wenn Ausschmücker versuchen, die Atmosphäre in ein Verb oder eine Metapher zu legen, muss ich sie über die Szene vermitteln. Wenn Puristen Orientierung über „sagte“ geben, muss meine Orientierung aus Rhythmus, Reaktionen, Pausen und kleinen Bewegungen entstehen.

Mein Anspruch ist dabei, den Leser aus dem Gesagten verstehen zu lassen, wer spricht; aus der Art, wie es gesagt wird, wie es gemeint ist; und aus der Szene begreifen, was zwischen den Zeilen passiert. Ein Text, der für sich steht, und niemanden braucht, der Schilder hochhält.

Die Herausforderung dabei: Ein dialoglastiger Abschnitt ohne Tags verlangt eine Struktur, die dem Leser regelmäßig Orientierung anbietet, ohne ihn zu belehren. Wenn mehr als zwei Charaktere beteiligt sind, umso mehr. Jede Unterbrechung — ein Gedanke, eine Bewegung, ein Blick, ein Geräusch — kann Orientierung geben. Ich möchte den Leser nicht mit zu vielen Reizen überladen, aber auch nicht in langen Passagen rätseln lassen, wer gerade spricht. Am Ende geht es um die Frage, wie viel Konzentration ich von meinen Lesern verlangen möchte (Spoiler: mehr als der Durchschnitt, sorry).

Dazu kommt die Frage der Perspektive. Jede Szene gehört einer einzigen Innensicht, einem Erzähler. Das bedeutet: Die Erzähler‑Person würde nicht denken „er sagte betroffen“, sondern würde etwas bemerken — eine Spannung in der Stimme, ein Zögern, ein verrutschtes Wort, ein Blick, der nicht ganz dazu passt. Dialogführung und Perspektive sind an dieser Stelle untrennbar.

Ein kleines Beispiel aus Raumzeit, dreimal umgesetzt, zeigt ganz gut, wie stark sich die Wahrnehmung verändert.

  1. Puristische Tags:
    „Mami ist hier“, sagte Rena.
    „Ja, ich weiß, dass es das denkt, aber …“, antwortete Steve.
    „Nein, das ist das Passwort. Mami ist hier“, sagte Rena.
  2. Ausschmückende Tags:
    „Mami ist hier“, verkündete Rena mit einem Anflug verschmitzter Selbstzufriedenheit.
    „Ja, ich weiß, dass es das denkt, aber …“, murmelte Steve, als würde er versuchen, Puzzleteile zu sortieren, die sich weigern, zusammenzupassen.
    „Nein, das ist das Passwort. Mami ist hier“, setzte Rena mit einem kleinen, kaum verhohlenen Grinsen nach.
  3. Ohne Tags:
    „Mami ist hier.“
    „Ja, ich weiß, dass es das denkt, aber …“
    „Nein. Das ist das Passwort. Mami ist hier."

Die Szene ist dieselbe, doch die Wirkung verschiebt sich: nicht wegen der Information, sondern wegen der Art, wie der Leser geführt wird.

Für mich lohnt sich dieser Ansatz aus zwei Gründen. Einerseits zwingt er mich, genauer hinzuschauen, wie ein Charakter spricht, wie Spannung entsteht und wo der Subtext eigentlich entlangläuft. Andererseits entsteht ein Dialog, der sich selbst trägt — einer, der funktioniert, ohne erklärt zu werden. Bei dem die Leser ganz im Moment sind, im Dialog, und die Charaktere kennen und wissen, wie sie klingen, wie sie sich fühlen, den Subtext oder wie hier den Witz verstehen können, ohne dass ich darauf hinweise. (Das werdet ihr, wenn ihr die ganze Szene lest, die ist wirklich witzig) Und wenn das gelingt, fühlt sich die Szene für mich richtig an.

Das ist meine Meinung über die verflixten kleinen Dinger, jetzt interessiert mich deine Sicht: Wie nimmst du Dialoge beim Lesen wahr? Fallen dir Tags auf? Stören sie dich? Vermisst du sie, wenn sie fehlen? Oder hast du bisher gar nicht darauf geachtet und merkst erst jetzt, wie unterschiedlich die Varianten wirken? Wenn du magst, schreib es mir in die Kommentare.


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