... Sind wir unsere Erinnerungen

von JC Spark  
In der Redaktion der SPACE WORLD TIME(s) ist gerade richtig was los. Neue Redakteure und große Pläne für die Zukunft. Und es kommt vor, das einer für seinen Artikel schon mal die ganze Belegschaft mit Fragen löchert. Für mich war das der Impulse für diesen Krausen Gedanken. 
Mir wurde die Frage gestellt, ob es schlimm für mich wäre als Autorin, wenn plötzlich alles, was ich jemals geschrieben hätte, verschwinden würde.

All meine Notizen, all die Originale meiner Gedichte, alles, was ich habe. Und ob es an meinem Gefühl Autorin zu sein etwas ändern würde.

 Und ich hab ganz spontan gesagt „Nein, würde es nicht. Denn ich bin nicht Autorin, weil ich es beweisen kann mit den Büchern, die ich geschrieben habe, oder meinen Entwürfen. Ich bin Autorin, weil ich weiß, dass ich die Bücher geschrieben habe und weil ich mich daran erinnere.

Vor allem deshalb, weil die Geschichten, die ich erzähle, veröffentlicht worden sind. Wenn sie das nicht wären, wäre ich Geschichtenerzählerin - also etwas, was ich bin, seit ich 4 oder 5 Jahre alt bin. Und das bedeutet seit einer Zeit, bevor ich schreiben konnte, bevor ich die Geschichten aufschreiben konnte. Also würde es doch nichts ändern. Und dennoch, wenn ich darüber nachdenke, diese Kartons voller Notizbücher, Zettel, bekritzelten Bierdeckeln, Schreibmaschinen getippten Seiten und ersten Computerausdrucken zu verlieren, ist es ein furchtbares Gefühl.

Ich habe in meinem Leben über mehr als 30 Umzüge hinweg, durch viele Beziehungen hindurch und durch diverse Umbrüche an bestimmten Momenten meines Lebens nahezu alles entweder verloren oder zurückgelassen. Bis auf den Inhalt dieser Kartons, im Gegenteil, auch wenn alles andere immer wieder verschwand, wuchs ihr Inhalt. Und zwar nicht irgendwo gespeichert auf einem Stick. Okay, dass irgendwann auch, aber vor allem auf Papier, die Originale, zurückgehend bis zu dem ersten Gedicht in einer Schulzeitung. Und wenn es mehrere Versionen gab auch mehrere Versionen. Alle Originale von meinen Gedichten, von den Songtexten, viel davon sind geschrieben in Bars, zum Teil auf Quittungsblöcken oder Servietten, sogar Toilettenpapier. Es gibt all diese Originale.

Und ich habe mich gefragt warum. Selbst wenn der Text, den ich geschrieben habe, mich nicht mehr daran erinnern würde, aber wenn ich das Blatt Papier in die Hand nehme auf dem das Original geschrieben ist, erinnere ich mich an den Moment, in dem ich es geschrieben habe. Und auch das ist ein Bruchstück von dem, was mich ausmacht, wer ich bin.

Es hat natürlich etwas damit zu tun, dass das, was ich schreibe, so viel von dem enthält, wer ich bin. Ich schreibe nicht über Themen oder Menschen oder Dinge, die nicht irgendwie zu mir gehören und letztlich ist das eine Sammlung von Erinnerung. Ich habe als ich 25 war, meinen ersten Roman - damals dachte ich fertig, heute würde ich sagen im ersten Entwurf geschrieben. Und Irgendwann möchte ich daran nochmal arbeiten und schauen, ob ich ein echtes Buch daraus machen kann. Aber es ist ein Erinnern an die Geschichtenerzählerin von damals. Die Geschichtenerzählerin, die ich war als meine kleine Schwester geboren wurde und ich anfing Geschichten zu erzählen. Oder als ich anfing Geschichten in Songtexten zu erzählen, als ich versucht habe Kurzgeschichten zu schreiben und festgestellt habe es fällt mir äußerst schwer, weil ich mich nicht kurz fassen mag 😊 Als ich anfing ein Musical zu schreiben, ein Fantasy-Epos plante - überall gibt es diese Erinnerung, die in Worten und Texten und Fragmenten mein Leben begleiten.

Ist das jetzt ein „Das war schon immer so“ oder eher „Früher war alles anders“? Vielleicht ja beides. Das Sammeln von Erinnerung ist eng verbunden mit dem Erzählen von Geschichten, „Das war schon immer so“. Diese Erinnerung an greifbare Objekte zu binden in gewisser Weise auch, nur waren es früher keine persönlichen Objekte - ganz sicher aber nicht so viele. Warum ist das so? Und jetzt kommen wir zum „Früher war alles anders“. Weniger laut, weniger Menschen, weniger Dinge, weniger Einflüsse, weniger … einfach weniger. Unser Leben ist komplexer geworden und auch wir sind so komplex geworden oder zumindest scheint es so, weil dieses Sein aus so vielen Teilen besteht, so viel Erleben, so viel Erinnerung, so vielen verschiedenen Menschen und Orten. Vielleicht vielen verschiedenen Berufen und natürlich so vielen Ideen und Wissen und Informationen … und auch Diagnosen. Wenn all das auf die eine oder andere Art in mir ist, dann ist es häufig nicht einfach zu wissen, welcher Teil davon ich bin. Was ist wirklich meins, was ist nur gelernt, was ist angenommen, was ist tatsächlich ein Teil von jemand anderem.

Und ich glaube jeder braucht etwas, das ihm das Gefühl gibt, das ist meins, das sind meine Erinnerungen, dass ist das, was mich ausmacht. Wenn also jemand Disneyfiguren sammelt, dann könnte man sagen meine Güte wie kann man so fanatisch mit solchem Kram sein. Aber möglicherweise sind sie genau das, was an für andere Menschen Fotos aus ihrer Kindheit sind oder Briefe von einem verstorbenen geliebten Menschen: es sind Erinnerung an Momente, Erinnerung an sich selbst. Und es sind Teile von dem, was mir das Gefühl gibt ich zu sein und mich wahrnehmen zu können. Und wenn ich mich umgebe mit etwas, in dem ich mich selbst sehen kann, ist das häufig die einzige Möglichkeit in all dem Lärm die eigene Stimme zu hören in all den Bildern das eigene Bild zu sehen.

Die Überlegung, warum es so wichtig ist, uns mit unserer Erinnerung an uns selbst zu umgeben, bringt mich zurück zum Anfang: warum wäre es so schlimm all diese Texte zu verlieren, obwohl ich niemals verlieren kann, dass ich Autorin bin, dass ich Geschichtenerzählerin bin. Weil es der physische Ausdruck davon ist, das Bild in der Welt davon, was ich festhalte von mir. Für den Notfall. Es ist sowas wie ein Sicherheitsnetz. Im Laufe des Lebens gibt es, egal wie sehr man davon überzeugt ist zu wissen, wer man ist, wo der eigene Platz ist im Leben und was die Ziele sind - es gibt immer wieder Momente, Dinge, Menschen, die diese Sicherheit erschüttern und es gibt auch immer wieder Phasen in einem selbst, in denen man selbst diese Sicherheit untergräbt und zerstört. Und etwas zu haben, was mir die Erinnerung an mich selbst zurückgeben kann, etwas, was mir hilft wieder zu mir zurückzufinden, ist das, was Sicherheit gibt. Ich glaube es ist ziemlich sicher der Grund, in meinem Fall zumindest, all das aufzubewahren.

Immer wenn ich umgezogen bin, manchmal beim Einpacken manchmal aber auch beim Auspacken, nahm ich so ein altes Buchen die Hand und blätterte das durch. Ich sehe die Schrift, sehe die Art von Buch in die das geschrieben wurde oder den Zettel, auf dem es steht. All das ist Teil der Erinnerung, die Worte sind verbunden mit dieser Erinnerung. Ohne das Buch, in dem die Worte stehen und das das Original ist, wo etwas unterstrichen wurde, vielleicht wurde etwas durchgestrichen, etwas ergänzt, vielleicht war der Platz auf der Seite nicht genug und es wurde am Rand geschrieben. Das sind alles Dinge, die man nicht sieht, wenn der Text am Ende in einem Buch steht oder wenn auch nur er abgetippt wurde. Und möglicherweise gehört das zu dem, was diese Erinnerung sichtbar macht.

Jetzt bin ich in Dänemark und hoffentlich zum letzten Mal umgezogen – das würde dann wohl bedeuten angekommen. Ich habe selten irgendwo gelebt, wo ich unter normalen Umständen so wenig anderen Menschen begegnen musste. Vielleicht habe ich jetzt Zeit darüber nachzudenken, warum ich all diese Dinge so lange behalten habe. Vielleicht um hier anzukommen. Jetzt, wo ich weiß, dass ich Autorin bin, mir selber zu zeigen, das war schon immer so. Und ich habe ein paar Kisten voller Beweise dafür.

Und dann lese ich ein paar Zeilen, die ich geschrieben habe und überlege, wann das gewesen ist. Was gewesen ist zu diesem Zeitpunkt. Und das ist keine Nostalgie das ist ein Stärken meines Selbst, meiner Identität nicht, weil ich sage ja und genauso ist es und genau so bin ich. Oft durch das genaue Gegenteil, dass ich sage, „Wow damals war es tatsächlich noch so, damals habe ich nicht gewusst, damals habe ich das noch nicht gekonnt oder hatte ich das noch nie getan.“ Aber die Person über die und zu der ich das alles sage bin trotzdem ich.

Und das hilft. Wenn ich mich völlig alleine in einen absolut leeren Raum setzen würde, mit nichts anderem als meinen Gedanken und meiner Erinnerung - dann könnte ich mich darauf fokussieren, dann könnte ich all das zurückholen und mein ich daraus aufbauen. Aber wann haben wir das schon? Normalerweise haben wir einen gewaltigen Lärm um uns herum. Wir haben unglaublich viele Dinge und so viel Leben und so viele Menschen, dass wir unsere eigene Stimme nicht mehr wahrnehmen können. Und vielleicht brauchen wir deshalb diese sichtbare Erinnerung damit wir in all dem nicht vergessen, wer wir sind.


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