von Marcus Ellingford*
„Entweder war das die höflichste Gasexplosion, die ich je gesehen habe – oder jemand hat hier sehr freundlich mitgedacht.“
Er saß mir gegenüber, Hände ineinander verschränkt, noch ein bisschen Ruß unter den Nägeln, er kam direkt von einem Einsatz. Offiziell war das hier nur ein Gespräch „unter vier Augen“ -und ich war mir nicht sicher, ob ich lachen oder mir Sorgen machen sollte, als ich seine Geschichte hörte.
Aber von vorne.
Auf den ersten Blick war es eine von diesen Meldungen, die es nie in die Startseite schaffen:
„Vermutete Gasexplosion im Hafengebiet von Salem (MA) in stillgelegter Lagerhalle.
Keine Verletzten. Gebäude eingestürzt, Umgebung gesichert.
Der Ort:
eine alte Halle am Rand des Industriegebiets, irgendwo zwischen Hafenlärm und den Rückseiten von The Point. Kein schicker Neubau, kein historisches Juwel, eher das architektonische Äquivalent eines abgetragenen Schuhs: man nimmt zur Kenntnis, dass er existiert, und wundert sich höchstens, dass ihn noch niemand weggeworfen hat.
Perfekt also, um einfach kommentarlos zu verschwinden."
Nur hatte diese Halle beschlossen, beim Verschwinden höflicher zu sein als erlaubt.
„Es knallt, wir fahren hin, alles wie immer“, erzählte er. „Ehrlich gesagt war ich fast enttäuscht, bei Gas-Explosion erwartet man ja schon ein wenig Action – aber da war nur ein Haufen Schutt zwischen völlig intakten Gebäuden. Oder dem was in der Gegend als intaktes Gebäude durchgeht, also normalerweise was für die Bauordnung, nicht für uns.“
Er blätterte durch die Fotos auf seinem Diensthandy. Beton, Metall, der übliche Schutt. Und doch: irgendetwas daran wirkte auch auf mich… ordentlich.
„Schau dir die Außenwände der Nachbargebäude an.“ Er zeigte Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln. „Da müsste mehr sein. Glassplitter, Trümmer, Druckspuren an den Nachbarhäusern. Stattdessen sieht das aus, als hätte das Haus einfach beschlossen, dass sich der Aufwand stehen zu bleiben nicht mehr lohnt und ist einfach… zusammengesackt.“
Er verwendete keine Fachbegriffe. Er sagte nur: „Unfälle sind chaotischer.“
Seine Kollegen notierten trotzdem „vermutete Gasexplosion“. Das Formular hat dafür ein Kästchen, und „höfliche, nach innen zusammenfallender Wahrscheinlichkeit oder lebensmüdes Gebäude“ kann man darauf nicht ankreuzen.
Dass niemand verletzt wurde, könnte man noch als glücklichen Zufall verbuchen. Der Zeitpunkt der Explosion fiel in ein Zeitfenster, in dem die Halle offiziell leer stand, keine Lieferungen, keine Schicht, nichts. Dass so etwas passiert, wenn zufällig niemand da ist – geschenkt. Passiert.
Dass die Halle exakt in sich zusammenfällt, als hätte man ihr vorher eine Faltanleitung gegeben – schon weniger.
„Weißt du, was mich wirklich gestört hat?“ fragte er. „Die Autos.“
Die standen nämlich alle noch da, wo sie vor dem Knall standen. Kein Glasschaden, keine weggeknickten Spiegel, keine hübsch verbeulte Motorhaube. Die Schutthaufen endeten brav, bevor sie auch nur einen Lack zerkratzen.
„Es war, als hätte jemand einen unsichtbaren Rahmen um die Halle gezogen und den Steinen gesagt: Hier dürft ihr fallen, hier nicht.“
Er reicht mir ein Foto, auf dem eine intakte Windschutzscheibe spöttisch neben eingestürzten Mauern mit einem Smiley verziert wurde.
„Wenn das Gas war“, sagte er, „hat es sich verdammt gut benommen.“
Normalerweise wäre damit Schluss gewesen. Bericht schreiben, abhaken, weitermachen. Eine Stadt wie Salem hat genug echte Brände, bei denen Menschen, Erinnerungen und Versicherungsprämien auf dem Spiel stehen. Eine alte Halle weniger? Die meisten hätten das als gratis Stadtsanierung verbucht.
Aber dann gab es die offizielle Anordnung für eine „ergänzende statische und forensische Untersuchung der Schadensursache“. In Verwaltungssprache heißt das: Jemand wollte ganz genau wissen, warum eine Halle zusammenfällt, in der offiziell seit Jahren niemand etwas gemacht hat.
„Wir hatten keinen Personenschaden, kein Medieninteresse, kein politisches Gewicht. Das Ding war ein Schandfleck. Wenn so ein Kasten von allein umfällt, klatschen normalerweise alle. Und plötzlich will jemand ein Gutachten mit allem Drum und Dran.“
Er lehnte sich zurück. „Da hab ich mir gedacht: Entweder hat das Gas jemanden sehr Wichtigen persönlich beleidigt – oder da stimmt was nicht.“
Er war Teil des Teams, das noch einmal rausfuhr: Statiker, Gutachter, jemand von der Stadt, jemand, der nie seinen Namen sagte und für den es im Protokoll später keinen Eintrag gab.
„Und dann steht’s schwarz auf weiß“, sagte er. „Kontrollierte Sprengung. Nicht vermutet, nicht wahrscheinlich – bestätigt. Mehrere Ladungen, so gesetzt, dass das Ding ordentlich in sich zusammenfällt. Keine Improvisation, kein Hobbybastler.“
Ich fragte ihn, wie oft er so etwas schon erlebt hatte: Ein wertloses Gebäude, miese Gegend, keine Opfer – und dann eine teure Untersuchung, nur um am Ende feierlich festzustellen, dass jemand sich sehr viel Mühe gegeben hat, ausgerechnet dieses Gebäude so zu entfernen, dass niemand zu Schaden kommt.
Er überlegte kurz. „Noch nie.“
Und was passierte nach dieser Erkenntnis? Nichts. Kein öffentlicher Bericht, keine Pressekonferenz, keine große Empörung darüber, dass irgendjemand eine illegale Sprengung mitten in einem Stadtgebiet durchführte. Der Vermerk „kontrollierte Sprengung“ wanderte in eine Akte, die in der Ablage verschwindet.
„Wir kriegen die Zusammenfassung, unterschreiben, dass wir sie gelesen haben, das war’s“, sagte er. „Keine Ermittlungsanfrage, keine Nachforderung, kein ‚Wer hat das veranlasst? ’. Als wäre die Antwort auf die Frage, wie etwas passiert ist, wichtiger als die, wer es getan hat. Oder vielleicht, als wäre das wer nie eine offene Frage gewesen.
Das ist der Moment, in dem man sich entscheiden muss“, sagte er. „Entweder man akzeptiert, dass einem das egal sein soll. Oder man fängt an, blöde Fragen zu stellen.“
Er hatte sich für die blöden Fragen entschieden - und war mit der Geschichte zu mir gekommen. Er erzählte, wie er in den Tagen nach dem Gutachten der Gedanke an den Ort nicht losließ. Wie er noch einmal privat hinfuhr, obwohl der Bereich abgesperrt sein sollte. Aber die Absperrung war erstaunlich schnell wieder beseitigt worden, die Trümmer waren frei zugänglich.
„Ich stand da und hatte das Gefühl, ich würde …. es ist schwer zu beschreiben, als würde ich pulsieren. Mitten in diesen Trümmern fühlte ich mich so lebendig und fokussiert wie schon lange nicht mehr, als wäre die Rente noch Jahrzehnte entfernt - dabei weiß ich die Kollegen planen schon die Party.“
In den nächsten Tagen begann er, herumzufragen. Erst im eigenen Umfeld, dann vorsichtig außerhalb. Er stieß auf sehr viele Varianten von „Lass gut sein“.
„Ich weiß, wie das klingt. Ein Feuerwehrmann kurz vor der Rente, der sich in einen abgeschlossenen Fall, während anderswo echte Probleme brennen. Glaub mir, ich hab mir das alles selbst gesagt.“
Er machte eine kurze Pause. „Aber ich hab die Trümmer gesehen“, fügte er hinzu. „Und ich hab das Gutachten gelesen. Und irgendwann sitzt man da und merkt, dass man entweder anfängt, an seiner Wahrnehmung zu zweifeln – oder an der offiziellen Geschichte. Und dann war da dieses Gefühl -“
Er schaute mich an fast als wäre es ihm peinlich. “- dieses Gefühl an diesem Ort. Dass ich mich dort so gut fühle. Ich bin seitdem regelmäßig … also zumindest, wenn ich in der Nähe war, da vorbeigefahren, manchmal ausgestiegen. Etwas daran lässt mich nicht los.”
Das klang nach der Sorte Obsession, bei der Kollegen höflich genickt und im Geiste im Kalender einen Termin für den nächsten Gesundheitscheck eingetragen hätten.
Stattdessen ließ ich mir das Aktenzeichen geben.
Die offizielle Dokumentation zum Einsturz war dünn. Einsatzbericht, Kurzmeldung, ein paar Fotos, der Vermerk zur ergänzenden Untersuchung – und dann der eine Satz: „Kontrollierte Sprengung, Verursacher unbekannt.“ Kein Hinweis auf ein laufendes Verfahren, keine zuständige Dienststelle, kein Kontakt für Rückfragen. Die Akte hörte genau an der Stelle auf, an der normalerweise der interessante Teil beginnt.
In der Stadtverwaltung hieß es „Das lief über mehrere Stellen“ und „Wir müssten da intern nachfragen, wir rufen zurück“, als ich nach den Auftraggebern der Untersuchung fragte. Der Rückruf kam nie.
Dafür fand ich mit meinem Informanten heraus, dass das Gebäude vor der Explosion nicht so verlassen gewesen war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Und so fingen wir gemeinsam an, Fragen zu stellen. Zuerst bei den offensichtlichen Ansprechpartnern: Müllentsorger, Sicherheitsdienst des Hafenareals, ein paar Anwohner an der Grenze zu The Point, die über Vorgänge in ihren Hinterhöfen Buch zu führen schienen.
Die meisten wollten nichts bemerkt haben. Einige wussten sehr genau, dass sie nichts gesehen hatten. Zwei, drei gaben dann doch zu, dass ihnen „ab und zu Leute“ aufgefallen waren. Kein Partyvolk, keine laute Musik. Eher kleine Gruppen, zu Fuß, unauffällig gekleidet, kein klarer Altersdurchschnitt. Immer dieselbe Richtung, immer dieselbe Ecke des Geländes.
Die manchmal sowas wie Yogamatten dabeihatten, oder Taschen. Rucksäcke. Einer hatte oft eine Metallflasche dabei. Keiner hat sich betrunken. Keiner hat rumgegrölt. Das waren “langweilige Leute“.
Ich suchte nach Spuren im Netz so gut es ging unter den Umständen. Unter den üblichen Angeboten – Meditationsabende, Klangschalen, Vollmondzeremonien im Wohnzimmerambiente – tauchte ein Name auf, der mir nichts sagte, A. Ingda-Thod.
Es war kein Verein, keine Kirche, keine offiziell eingetragene Gemeinschaft, nur ein „offener Kreis für Menschen, die ihr Potenzial entfalten wollen“. Die Adresse der eingestürzten Halle und eine Kontakt-E-Mail, die deaktiviert war.
Noch nicht, was ich eine heiße Spur nennen würde, aber ab diesem Moment war klar der Ort keine Ruine mehr für mich. Sie war ein Treffpunkt gewesen. Für Menschen, die glaubten, ihr Potential zu entfalten. Waren sie das Ziel gewesen?
Wollte jemand verhindern, dass sich diese Leute dort weiter treffen? Sollte diese Gruppe angegriffen werden? Aber wenn man Gruppe erwischen will, dann sprengt man doch nicht in deren Abwesenheit. Jemand hatte sehr viel Aufwand betrieben, niemanden zu verletzen – also Ende der Theorie vom „Anschlag auf eine gefährliche Gruppierung“.
Eine Gruppe wie diese kann sich vermutlich überall treffen. Wenn man sie stoppen will, greift man doch nicht das einzige an, was sie problemlos ersetzen kann. Wir saßen über unseren Notizen und kamen immer wieder an denselben Punkt:
Alles deutete darauf hin, dass der Ort selbst das Ziel gewesen war. Aber warum? Gab es überhaupt einen Zusammenhang zu dieser Gruppe?
Je länger wir uns mit der Gruppe beschäftigten, desto weniger ließ sie sich greifen. Der Name der Kontaktperson tauchte in keinem offiziellen Register auf, kein Verein, keine Firma, kein Impressum. Ich zweifelte allmählich daran, dass es überhaupt ein Name war.
Mein Informant begann langsam aufzutauen und erzählte Dinge, die er vorher weggelassen hatte, weil sie ihm selbst suspekt vorkamen.
Er könne seit einiger Zeit Nummernschilder schon aus der Ferne deutlich lesen, als würde er sie ran zoomen. Inzwischen war er davon überzeugt, eine besondere Fähigkeit entwickelt zu haben. Typischer Placebo Effekt durch die Beschäftigung mit A. Ingda-Thod und seiner Potential Entfaltungsgruppe - oder? Er hatte sicher nicht durch irgendwas womit wir uns beschäftigten Superkräfte entwickelt - sonst hätte ich doch auch das Vergnügen, was ganz sicher nicht der Fall ist.
Was hatten wir also?
- eine leerstehende Halle,
- eine perfekt ausgeführte Sprengung ohne Opfer,
- eine Untersuchung, die mittendrin aufhörte, Fragen zu stellen,
- den Namen A. Ingda-Thod und eine esoterische Gruppe, die „Potenzial“ trainieren wollte und sich in Luft aufgelöst hatte,
- und einen Feuerwehrmann, der plötzlich Dinge klarer sah, die ihm vorher entgangen waren – und das selbst am liebsten als Placeboeffekt verbuchen würde.
Was fehlte, war das, womit jede normale Geschichte anfangen sollte: ein „Wer“.
Wer hatte diese zusätzliche Untersuchung angeordnet?
Wer hatte so genau herausfinden wollen, wie das Gebäude gesprengt wurde – und sich nicht dafür interessiert, wer dafür verantwortlich war?
Im Prinzip konnte jeder dahinterstecken, der ein Interesse daran hat, dass an genau dieser Koordinate auf der Stadtkarte nichts mehr stattfindet – was so formuliert ziemlich verrückt klang, aber genau das war der Ansatz.
Also der Reihe nach, rein hypothetisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Es gibt die offensichtliche Variante: irgendeine Sicherheitsbehörde, offiziell oder halboffiziell, die es nicht mag, wenn sich im Schatten eines Hafens Gruppen treffen, ihr Potenzial trainieren und dabei so unsichtbar bleiben, wie es nur „langweilige Leute“ können. Aber in diesem Szenario wären das Sicherheitsrisiko. die Menschen, nicht die Halle.
Dann die völlig gegensätzliche Theorie: Die Gruppe selbst war es. Menschen, die so lange über Potenzialentfaltung nachdenken, bis sie beschließen, dass der Ort, an dem sie das getan haben, zu viele Spuren trägt. Eine Art kontrollierte Selbstzerstörung des eigenen Probenraums, bevor jemand anders herausfinden kann, was dort wirklich passiert ist – oder was dort mit ihnen passiert ist.
Eine nüchternere Lesart: folge dem Geld. Ein Hafengebiet, das „entwickelt“ werden soll, verträgt sich schlecht mit einem Kasten, der falsche Menschen anzieht. Eine illegale Sprengung ist billiger als ein langes Verfahren, ein Gutachten ist billiger als eine öffentliche Debatte und eine Akte, die im richtigen Ordner verschwindet, ist das Billigste von allem. In dieser Version ist A. Ingda-Thod nur eine Randnotiz.
Wer die historische Seite mag, kann noch eine Schicht obendrauf legen: Familien, Institutionen, Kreise, die sehr viel Energie darauf verwenden, dass Salem eine bestimmte Geschichte über sich erzählt – und andere möglichst nicht. Vielleicht ist die Vorstellung, dass sich wieder Menschen an einem Ort treffen, um an „ungewöhnlichen Fähigkeiten“ zu arbeiten, für einige schlicht unerträglich. Dann räumt man den Ort weg, bevor die Geschichten anfangen, sich festzusetzen. Sollen diese Leute doch an anderen Orten ihr Hexenwerk betreiben.
Und dann ist da die unkomfortabelste Möglichkeit: dass die Halle überhaupt kein Zentrum war, sondern ein Symptom. Dass es gar nicht in erster Linie um Menschen mit Yogamatten geht, sondern um Orte, an denen Menschen sich verändern. In diesem Szenario interessiert sich jemand für Koordinaten, an denen etwas „zu viel“ geschieht – und entfernt sie. Wer „jemand“ ist, bleibt im Dunkeln. Es kann eine Behörde sein, ein privates Netzwerk, eine sehr alte Idee, die in wechselnden Uniformen auftritt.
Wenn man lange genug auf diesem Gedankenspielbrett bleibt, landet man irgendwann wieder bei: es könnte jeder gewesen sein. Vielleicht war es die Feuerwehr selbst. Vielleicht war es die Stadtverwaltung. Vielleicht war es eine Mischung aus allen, und der Einzige, der wirklich nicht mitgespielt hat, war der Mann, der mir gegenübersaß und davon erzählte, dass er seitdem Nummernschilder schärfer sieht.
Je länger wir die Liste erweiterten, desto offensichtlicher wurde, dass „Wer jagt hier wen?“ die falsche Frage ist.
Vielleicht jagt hier gar niemand jemanden. Vielleicht jagen alle etwas Unterschiedliches:
Sicherheitsleute jagen Risiken, Investoren jagen Renditen, Esoteriker jagen Erleuchtung, Traditionshüter jagen das Gefühl von Kontrolle. Und wir jagen eine Geschichte, die diese völlig verschiedenen Beutestücke in eine Linie bringt. Das Bild eines Jägers, der irgendwo in Salem sitzt und beschließt, eine Halle zu sprengen, damit eine Handvoll Menschen kein „Potenzial“ mehr entfaltet, ist wahrscheinlich zu klein.
Was bleibt, ist der merkwürdige Rest: die Entscheidung, so viel Energie auf einen Ort zu verwenden, der offiziell keine mehr wert war.
Man kann an dieser Stelle aussteigen.
Man kann sagen: Das ist die Geschichte eines Mannes kurz vor der Rente, der sich an einem Haufen Schutt festhält, weil er sonst nur noch Formularstapel vor sich hat. Die Geschichte einer Gruppe, die sich „Potenzial Entfaltungs-Kreis“ nennt und so schnell verschwindet, wie solche Kreise das oft tun. Die Geschichte einer Stadt, die bei jeder Abweichung automatisch ihr eigenes Horror-Branding dazu liefert.
Man liest das, denkt im ersten Moment: „Unfassbar, da muss doch etwas dran sein.“
Im zweiten Moment: „Moment. Das ist zu viel. Das kann doch gar nicht alles stimmen.“
Im dritten: „Wenn das alles Unsinn ist – warum ist es dann so ausführlich dokumentiert?“
Im vierten: „Vielleicht soll ich einfach nur beschäftigt werden.“
Vielleicht ist dieser Einsturz genau das: viel Lärm um nichts.
Eine höfliche Explosion in einer müden Halle, ein paar überinterpretierte Zufälle, ein Feuerwehrmann mit sehr guter Brille und ein Reporter mit zu viel Zeit.
Vielleicht ist es ein Ablenkungsmanöver. Von der Tagespolitik, von anderen Projekten am Hafen, von Verträgen, die mehr mit Leitungen und Budgets zu tun haben als mit Wahrnehmung und Potenzialen.
Und vielleicht ist es trotzdem mehr als das.
Vielleicht ist es einer dieser Fälle, in denen alles so gebaut ist, dass es wie eine Übertreibung wirkt. In denen man als vernünftiger Mensch automatisch zum Schluss kommt, dass das alles zu viel, zu weit hergeholt, zu sehr „Die Wahrheit™“ ist.
Und irgendwo darunter stellt eine kleine, unerzogene Stimme die Frage, die man bei sowas besser für sich behält:
Wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass der Ort im Zentrum all dieser Ereignisse keine besondere Bedeutung hat – ausgerechnet in einer Stadt, in der aus belanglosen Orten schon immer erstaunlich langlebige Geschichten geworden sind?
*Hinweis der Redaktion
Unser langjähriger Autor der Rubrik Die Wahrheit™, dessen letzter Beitrag sich mit der Frage beschäftigte, was Künstliche Intelligenz in Kühlschränken wirklich speichert, steht der Redaktion derzeit nicht mehr zur Verfügung.
Zu den Hintergründen seines Verschwindens liegen uns keine gesicherten Informationen vor.
Offiziell gehen wir von persönlichen Gründen aus. Inoffizielle Spekulationen kommentieren wir nicht.
Ab dieser Ausgabe übernimmt **Markus Ellingford **die Verantwortung für die Rubrik Die Wahrheit™.
Ellingford war bisher als Rechercheur im Hintergrund tätig und kennt die Archive, Quellen und offenen Fäden der Rubrik so gut wie kaum ein anderer.
Die Redaktion nutzt diesen Wechsel, um Die Wahrheit™ stilistisch auf eine neue Grundlage zu stellen:
weniger lose Fragmente, mehr zusammenhängende Recherchen, die wie Geschichten aussehen dürfen – und doch denselben Auftrag behalten:
Dort weiterzubohren, wo die offiziellen Erklärungen enden.
Für diesen Einstand überlässt die Redaktion Ellingford bewusst die Titelseite und mehr Platz, als es für die Rubrik üblich war.
Die Länge des Artikels ist kein Versehen, sondern Teil der Entscheidung, Die Wahrheit™ anders zu erzählen – bei gleichbleibendem Auftrag.
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